Siberian Huskies of Kahnawake Schlittenhunde aus dem grünen Herzen Deutschlands
Schlittenhunde aus dem grünen Herzen Deutschlands

Gesundheit!

Wahrscheinlich ist es Ihnen aufgefallen: Einige unserer Hunde haben Zuchtbeschränkungen, dürfen also nicht mit jedem Hund der Rasse verpaart werden. Die Gerüchteküche verursacht durch Unkenntnis sehr häufig Unterstellungen, jemand “züchtet mit kranken Hunden”. Das ist nach den Regeln unseres Zuchtverbandes gar nicht zulässig, und deshalb kläre ich hier ein wenig auf. 

Da es im Folgenden um Zuchtbeschränkungen geht, die durch Befunde bei der jährlichen Augenuntersuchung begründet werden, schicke ich eine kleine Grafik vom Aufbau des Wirbeltierauges mit Legende voran:

Aufbau des Wirbeltierauges

(Quelle: Wikipedia s.v. Wirbeltierauge, abgerufen am 24.01.2020)

Schema des Wirbeltierauges
©Wikipedia: von Talos, colorized by Jakov
1 Lederhaut (Sclera)
2 Aderhaut (Choroidea)
3 Schlemm-Kanal (Sinus/Plexus venosus sclerae)
4 Iriswurzel (Margo ciliaris)
5 Hornhaut (Cornea)
6 Regenbogenhaut (Iris)
7 Pupille (Pupilla)
8 vordere Augenkammer (Camera anterior bulbi)
9 hintere Augenkammer (Camera posterior bulbi)
10 Ziliarkörper (Corpus ciliare)
11 Linse (Lens)
12 Glaskörper (Corpus vitreum)
13 Netzhaut (Retina)
14 Sehnerv (Nervus opticus)
15 Zonulafasern (Fibrae zonulares)

 

 

Erster Fall: MPP

Kira (Zausel’s Red Rose) hat eine einzelne MPP, eine Membrana Pupillaris Persistens (Iris to Iris) im linken Auge.

Die Pupillarmembran ist ein faseriges Häutchen, das beim Fötus Regenbogenhaut und Linse unter der Hornhautanlage bedeckt und für Schutz und Versorgung sorgt. Diese Membran bildet sich bis zum Öffnen der Augen zurück.

Manchmal bleiben allerdings einzelne Fasern zurück. In den meisten Fällen ist das völlig harmlos, vor allem, wenn es sich um eine einzelne Faser handelt, die nur auf der Regenbogenhaut verläuft und die Pupille nicht kreuzt. Manche MPP hängen frei in der Vorderkammer (zwischen Hornhaut und Linse), andere verlaufen von der Regenbogenhaut zur Linse oder zur Hornhaut. Wo die MPP an Hornhaut oder Linse angewachsen ist, kann es zu Trübungen kommen, also zu Formen des Grauen Stars. In diesem Fall muss eventuell ein Augentierarzt eingreifen.

Bislang ist ungeklärt, ob die MPP ein angeborener, also erblicher Defekt ist oder ein erworbener, d.h. durch eine Störung der normalen Entwicklung entstandener. Da ungeklärt ist, ob die MPP vererbbar ist, wird vorsichtshalber untersagt, einen Hund mit einer MPP mit einem anderen Hund mit einer MPP zu verpaaren. In schweren Fällen (z.B. zahlreiche Fasern, Fasern, die die Pupille kreuzen, ein Netz bilden, an ihren Anwuchsstellen Linse und/oder Hornhaut trüben u.ä.) wird der Hund von der Zucht ausgeschlossen.

Die einzelne Faser in Kiras Auge verläuft nur über die Regenbogenhaut und streift die Pupille nur bei extremer Weitung z.B. durch Medikamente. Sie verursacht keinerlei Beeinträchtigung ihrer Sehkraft, sondern ist eine völlig harmloser Befund der Augenuntersuchung zur Zuchtzulassung. 

Zweiter Fall: Geringgradige ICAA – Goniodysplasie

Vorab muss ich erwähnen, dass die Gonioskopie, also die Untersuchung des Kammerwinkels auf Goniodysplasien (= ICAA, Irido Corneal Angle Abnormality, auch Kammerwinkelanomalie), im DCNH zur Zuchtzulassung nicht verpflichtend ist und sie deshalb nur sehr selten gemacht wird, z.B. wenn ein in Deutschland stehender Rüde eine im Ausland stehende Hündin decken soll, deren Zuchtverband eine Gonioskopie als Voraussetzung zur Zucht vorschreibt (z.B. der ÖCNH in Österreich oder der SHC in Deutschland). Das heißt, bei der überwältigenden Mehrheit der Siberian Huskys in Deutschland wissen wir überhaupt nicht, ob eine Goniodysplasie vorliegt.

Bei Opra (Inner Vision Wolfblood), die bei ihrer ersten Augenuntersuchung im April 2018 als gonio-frei durchging, wurde bei einer späteren Augenuntersuchung mit Gonioskopie (November 2019) eine geringgradige ICAA festgestellt. Auch bei Koda (Brendan of Kahnawake) wurde dieser Befund gemacht. Dabei handelt es sich um eine geringfügige Veränderung des Kammerwinkels, bei der wissenschaftlich umstritten ist, ob sie überhaupt erblich ist, und die nach dem aktuellen Forschungsstand nicht als Ursache für das Primärglaukom festgemacht werden kann.

Die geringgradige ICAA ist keine Erkrankung des Auges. Für sich genommen hat sie keine Folgen für die Sehkraft des Hundes. Sie steht nur im Verdacht, im Zusammenhang mit der Entstehung eines Glaukoms zu stehen. Das Glaukom ist eine Schädigung des Auges durch einen erhöhten Augeninnendruck. Gefäße werden zerstört, dadurch gehen Sehzellen (Licht- und Farbrezeptoren) im Augenhintergrund und der Sehnerv zugrunde.

Anatomie des Wirbeltierauges, Vorderkammer und Kammerwinkel - (c)Blausen.com staff (2014). "Medical gallery of Blausen Medical 2014". WikiJournal of Medicine 1 (2). DOI:10.15347/wjm/2014.010. ISSN 2002-4436
Anatomie des Wirbeltierauges, Vorderkammer und Kammerwinkel – (c)Blausen.com staff (2014). “Medical gallery of Blausen Medical 2014“. WikiJournal of Medicine 1 (2). DOI:10.15347/wjm/2014.010. ISSN 2002-4436

Das Auge aller Wirbeltiere wird als Hohlkörper nicht nur über hauchfeine Blutgefäße, sondern auch über das Kammerwasser versorgt, das den gesamten Augapfel füllt. Das Kammerwasser, eine klare, dem Blutserum ähnliche Flüssigkeit, wird im Ziliarkörper, der die Hinterkammer des Auges zum Glaskörper begrenzt, gebildet. Es umfließt die Linse und fließt in der Vorderkammer über den Kammerwinkel zwischen Hornhaut und Regenbogenhaut ab.

Der Kammerwinkel ist eine sehr feine Struktur. Das Ligamentum Pectinatum (Pectinate Ligament, PL), ein Gespinst feinster Fasern, genannt Trabekel (dt. “Bälkchen”), verbindet Hornhaut und Regenbogenhaut und lässt die überschüssige Flüssigkeit durch einen schwammartigen Gewebe in den Schlemm’schen Kanal entweichen. Von dort wird sie über ein System zahlreicher Abflusskanälchen und winzige Kapillargefäße in den Blutkreislauf übernommen und abtransportiert wird.

Der normale Augeninnendruck liegt beim Hund zwischen 10 und 23 mmHg. Erhöht sich der Flüssigkeitsdruck im Auge dauerhaft über 20 mmHg (Quecksilbersäule des Messgerätes) spricht man von einem Glaukom. Dabei wird unterschieden zwischen Primärglaukomen und Sekundärglaukomen. Beim Primärglaukom kann am betroffenen Auge keine Verletzung oder Erkrankung gefunden werden, die eine Steigerung des Augeninnendrucks verursacht haben könnte. Häufig wird dabei auch eine Kammerwinkelanomalie diagnostiziert, meist eine hochgradige. Das bedeutet, die Trabekelfasern sind verdickt und verklebt und verlegen den Augenwinkel, sodass das Augenwasser nicht frei abfließen kann. Aufgrund dieser Veränderung wird dieses Primärglaukom auch Engwinkelglaukom genannt.

Ist hingegen eine Verletzung oder eine Erkrankung des Auges die Ursache, spricht man von einem Sekundärglaukom. Hierbei treten seltener Veränderungen des Kammerwinkels auf; deshalb sprechen wir auch vom Offenwinkelglaukom.

Die Ursachen für ein Primärglaukom/Engwinkelglaukom sind vielfältig. Auch starke Weitsichtigkeit oder eine fortschreitende Kararakt (Grauer Star), eine z.B. medikamentös verursachte Veränderung der Trabekelstruktur hinter dem Kammerwinkel (z.B. durch Antidepressiva, Mittel gegen Erbrechen, Reisekrankheit etc.) können ein Engwinkelglaukom verursachen oder begünstigen. Da das Augenwasser über den Kammerwinkel abfließt, kann die Verengung des Kammerwinkels zu einer Stauung führen. Daher werden die Kammerwinkelanomalien (PLA, Pectinate Ligament Anomaly, oder ICAA) als mögliche Risiken für die Entstehung eines Glaukoms angesehen.

Die Trabekel sind nicht einheitlich lang und dick. Wenn mehr als 50 % der Trabekel im gesamten Kammerwinkel (also ringsum) nach Ansicht des aktuellen Forschungsstandes für zu dick und etwas zu kurz befunden werden (FL, Fibrae Latae) und/oder 25 % des Kammerwinkels verengt sind, wird eine geringgradige ICAA diagnostiziert. Denn es wird angenommen, dass der Durchfluss des Kammerwassers ein wenig behindert wird. Treten weitere Faktoren hinzu (wie z.B. Medikamente, Fehlsichtigkeit) summieren sich die Faktoren möglicherweise.

Sind Teile der verkürzten Fasern zu einem engmaschigen Gewebe verwachsen und liegen wie eine Plattenstruktur im Kammerwinkel, wird der Abfluss stärker behindert. Dies wird als mittelgradige ICAA bezeichnet. Der Anteil der veränderten Struktur beträgt dabei etwa 62 bis 75 %.

Im Extremfall (über 75 % PLA) ist der Kammerwinkel nahezu zugewachsen, sodass ein einfacher Abfluss kaum möglich ist und das Kammerwasser durch die Membranen diffundieren muss. Dies nennt man eine hochgradige ICAA.

Nur für die hochgradige ICAA wurde tatsächlich ein Zusammenhang mit der Entstehung eines Glaukoms ermittelt: Sie wird gehäuft im Zusammenhang mit einem Primärglaukom diagnostiziert. Bei hochgradiger ICAA besteht somit ein erhöhtes Risiko, dass der Hund im betreffenden Auge an einem Glaukom erkrankt und erblindet. Bei geringgradiger und mittelgradiger ICAA ist dem aktuellen Forschungsstand zufolge kein Zusammenhang nachweisbar.

Bisher konnte auch nicht geklärt werden, ob und wenn ja welche Formen der ICAA erblich bedingt sind, weil erworbene Störungen (z.B. durch symptomlos verlaufende lokale Entzündungen) genauso denkbar sind. Da der Kammerwinkel sich im Laufe des Lebens verändert und die ICAA mit zunehmendem Alter häufiger diagnostiziert wird, ist die Einstufung dieser Erscheinungen als Anomalie möglicherweise auch die Festlegung auf ein “jugendliches Ideal”. Das hätte mit Genetik insofern zu tun, als eine fortschreitende PLA ebensogut auf die unausweichliche Alterung des Auges im Verlauf des Lebens zurückgeführt werden könnte, ein vorzeitiger Alterungsprozess allerdings durchaus genetisch bedingt sein kann.

Nicht alle Primärglaukome stehen mit einer ICAA in Verbindung, und die Gonioskopie kann keine Aussagen machen über die poröse Struktur hinter dem Kammerwinkel, durch die das Kammerwasser zum Schlemm’schen Kanal und dem daran anschließenden Geflecht von Abflusskanaälchen und Kapillarvenen abfließt. Auch diese Systeme können Veränderungen zeigen, die zu Stauungen führen, die aber nicht am lebenden Auge diagnostiziert werden können.

Besonders problematisch ist die Tatsache, dass eine Gonioskopie eine sehr komplizierte Untersuchungsmethode ist. Mir wurde sowohl von unseren Tieraugenärztinnen als auch von einem befreundeten Züchter in den USA, der zugleich Tieraugenarzt ist und u.a. für die U.S. Army viele Diensthunde untersucht und behandelt, gesagt, dass unterschiedliche Untersucher zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ganz besonders, was die Unterscheidung zwischen “gonio-frei”, geringgradiger und mittelgradiger Goniodysplasie angeht. Beim ECVO (European College of Veterinary Ophthalmologists – Europäisches Kollegium der Tieraugenärzte) als auch beim US-amerikanischen Pendant, dem ACVO, sei man sich dieses Problems bewusst und bemühe sich, dem mit regelmäßiger Fortbildung zu begegnen. Von einem Zuchtausschluss betroffener Hunde wird dringend abgeraten, um den Genpool zu erhalten – nur Hunde mit hochgradiger ICAA sollen nicht zur Zucht verwendet werden.

(Aufschlussreiche gonioskopische Aufnahmen und Informationen finden Sie in dieser – leider nur auf Englisch vorhandenen – Präsentation zur Fortbildung von Tieraugenärzten: Christine Heinrich (DVOphthal DiplECVO MRCVS): Gonioscopy – “seeing the angle”)

2003 empfahl das ECVO (European College of Veterinary Ophthalmologists – Europäisches Kollegium der Tieraugenärzte), für den Verdacht auf eine Goniodysplasie (Diagnose “zweifelhaft”) die Verpaarung ausschließlich mit gonio-freien Hunden und bei schweren Formen den Zuchtausschluss.

Im Mai 2018 wurde die oben beschriebenen graduelle Einteilung als neues Schema zur Beurteilung der Befunde bei der Gonioskopie entwickelt. Diese neue Empfehlung des ECVO, der sich der Dortmunder Kreis (DOK, Zusammenschluss der Tieraugenärzte in Deutschland) angeschlossen hat, lautet: “Gering- oder mittelgradig betroffene Hunden können, nach den aktuellen Erkenntnissen, mit freien Hunden verpaart werden. Hochgradig betroffene Hunde sollen nicht zur Zucht verwendet werden und haben ein deutlich höheres Risiko an einem Glaukom (Grüner Star) zu erkranken.” (Quelle)

In Deutschland wird unter dem Dach von FCI und VDH die Zucht des Siberian Huskys von zwei Clubs betreut, dem Siberian Husky Club e.V. (SHC) und dem Deutschen Club für Nordische Hunde e.V. (DCNH). Der SHC verlangt zur Zuchtzulassung eine einzige allgemeine Augenuntersuchung auf erbliche Augenerkrankungen (gemäß DOK/ECVO) inkl. Gonioskopie nach Vollendung des ersten Lebensjahres, die dann lebenslang gilt. Der DCNH verlangt zur Zuchtzulassung eine allgemeine Augenuntersuchung auf erbliche Augenerkrankungen (gemäß DOK/ECVO), die maximal zwei Jahre gültig bleibt und zur Aufrechterhaltung der Zuchtzulassung möglichst jährlich widerholt werden soll; der Zuchteinsatz ohne gültige Augenuntersuchung ist ein Zuchtverstoß, der in den Ahnentafeln der Welpen eingetragen wird (“Nicht nach den Regeln des DCNH gezüchtet”), Strafgebühren kostet und im Wiederholungsfall bis zu Zuchtsperre und Zuchtverbot führen kann.

Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der geringgradigen bzw. mittelgradigen ICAA nicht um Erkrankungen mit Störungen des Gesichstssinns, sondern um Veränderungen am Auge, von denen vermutet (!) wird, dass sie mit der Entstehung eines erhöhten Augeninnendrucks in Verbindung stehen, wobei es für diese Verbindung bisher keinen wissenschaftlichen Beleg gibt.

Unsere Opra, ebenso wie unser Koda, leiden also nicht an einer Augenerkrankung, sondern sie zeigen eine kleine, höchstwahrscheinlich völlig harmlose Veränderung im Kammerwinkel des Auges. Eine Veränderung, die – wie mir unsere Tieraugenärztinnen zusicherten – voraussichtlich ihr Leben lang keine Probleme und keine Beeinträchtigung des Augenlichts verursachen wird.

Selbstverständlich kann man fordern, dass Hunde, bei denen in Untersuchungen Anomalien gefunden werden, ungeachtet der Bedeutung dieser Anomalie sofort samt und sonders aus der Zucht ausgeschlossen werden sollten. Aber – um mit der grande dame der Hundezucht in Deutschland, Dr. Helga Eichelberg, zu sprechen – dabei schließt man nicht nur ein Gen oder ein paar Gene aus, sondern gleich vollständige Chromosomensätze. Folgt man dieser Forderung, führt das unweigerlich zu einer drastischen Verengung des Genpools einer Hunderasse.

Als Literaturhinweis empfehle ich die nicht mehr ganz taufrische, aber umfassende Studie von Dr. med.vet. Nina Berenice Gehring: Erbliche Augenerkrankungen beim Siberian Husky unter besonderer Berücksichtigung der Katarakt (Uni Gießen 2011).

Fazit

Zuchteinschränkungen sind eine zuchthygienische Vorsichtsmaßnahme, damit z.B. Anomalien am Auge (harmlos oder nicht) sich nicht häufen.

Wer behauptet, dass wir “mit kranken Hunden züchten”, sagt ganz einfach die Unwahrheit – ob wissentlich oder nicht. Und wenn das Züchterkollegen tun, die selbst ihre Hunde nicht auf Goniodysplasie untersuchen lassen, dann müssen sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht unwissentlich im Glashaus sitzen.

 

Siberian Huskies of Kahnawake